Christine Schneider ist Pensionistin. Sie ist in Südafrika geboren und hat dort als diplomierte Krankenschwester gearbeitet, bis sie mit ihrem Mann nach Vorarlberg gezogen ist, wo ihre Kinder aufgewachsen sind. Sie war über 30 Jahre lang als Sprachtrainerin in der Erwachsenenbildung tätig.
1. Wann hast du zum ersten Mal bemerkt, dass da etwas auf uns zukommt, das uns alle betrifft?
Ich habe von dem Ausbruch eines lebensgefährlichen, hochansteckenden Virus in Wuhan gehört. Dann kam ein Bericht, dass in einem Wiener Hotel zwei Chinesen an diesem Covid-19 erkrankt waren und es einige Sterbefälle in China gab. Ich hatte Angst, weil ich zu dieser Zeit Anfang Februar 2020 von Wien aus nach Südafrika flog und in Wien in einem großen Hotel übernachtete. Da läuteten schon die Alarmglocken für mich, dass wir alle einer Gefahr ausgesetzt waren.
Dass wir es mit einer globalen Situation zu tun hatten, bestätigte sich mit dem Empfang am Flughafen in Kapstadt: Auf dem Weg zwischen Flugzeug und Flughafengebäude mussten wir uns alle in Fünferreihen aufstellen, sodass fünf Kontrolleure mit Messgeräten unsere Temperatur an der Stirn messen konnten. Das war für mich dramatisch.
2. Was war für dich in dieser Zeit am schlimmsten?
Am schlimmsten waren für mich die Ungewissheit und die quälenden Gedanken. Würde ich unwissend das Virus bei meiner Rückkehr mit einschleppen und meinen kleinen Enkel infizieren, der kurz vorher eine Herzoperation hatte, wo jeder Infekt für ihn tödlich sein konnte? Würde aus der Epidemie eine Pandemie werden, die dann mehrere Jahre dauern würde? Dann später: Konnten wir die Ausbreitungen in allen Ländern in den Griff bekommen? Wie stark würde unsere Lebensqualität eingeschränkt werden müssen, um die Pandemie zu bewältigen?
3. Gibt es auch etwas, von dem du im Nachhinein sagen würdest, da ist etwas Gutes passiert, das ohne diese Krise nicht möglich gewesen wäre?
Für meine Beziehung mit meinem Mann war es gut. Als ich aus Kapstadt wieder zurück nach Vorarlberg kam, war gerade Frühling. Wir haben eine Wohnung mit Dachgarten, da war es schön, daheim zu sein. Gut war auch die Erfahrung, wie zwischen Fremden Solidarität gelebt wurde. Über Telefon und Internet gab es innerhalb der Familie intensiveren Kontakt, und auch Freundschaften blühten auf dieser Basis wieder auf. In Gruppenchat-Apps schickten wir uns aus England, Südafrika, Australien, Schweden und Österreich gegenseitig die lokalen ‚Corona-Berichte‘, auch humorvolle und lebenswert-philosophische Videoclips. Ich spürte in der ‚Coronazeit‘ manchmal etwas wie eine geistig-seelische Erneuerung. Wir haben all das, was für uns bis dahin selbstverständlich war und was wir kaum wahrgenommen hatten, neu wertgeschätzt. Eine Zeit lang wurde durch den eingeschränkten Flugverkehr die Umwelt und das Klima geschont, und die Luft war sauberer. Durch unseren Verzicht legten wir alles still, was die Umwelt verschmutzte. Ironischerweise war das ein Vorteil für uns Menschen trotz des Reiseverzichts.
4. Was war für dich besonders hilfreich, um gut durch die Krise zu kommen?
Meine eigene proaktive Einstellung und die vielseitige menschliche Zuwendung. Auch meine persönliche Wohnsituation.
5. Stell dir vor, mitten in dieser schwierigen Zeit wäre eine gute Fee da gewesen, die dir einen Herzenswunsch erfüllt hätte. Was hättest du dir gewünscht?
Dass wir alle an einem Strang ziehen, um diese sehr dramatische Situation so schnell wie möglich zu bewältigen und hinter uns zu bringen.
6. Gab es etwas, das dich wütend gemacht hat?
Es gab diese Besessenheit mit der Statistik in den Nachrichten; ständig wurde über Fallzahlen berichtet. Das hat bei Vielen Angst geschürt. Was mich auch sehr irritiert hat, war die Politisierung, hier und in gewissen anderen Ländern.
7. Gab es etwas, von dem du sagen würdest, das war eine Schande oder dafür muss man sich schämen?
Ja, als ich gehört und gelesen habe, wie die Polizei manchmal vorging und wie übertriebene Geldstrafen verhängt wurden. Und wie manche Menschen miteinander umgingen.
8. Viele Leute berichten, dass es für sie eine Zeit voller Angst gewesen ist. Wie war das bei dir und wie bist du damit umgegangen?
Ganz am Anfang ahnte ich, dass das lange nicht unter Kontrolle gebracht werden kann. Ich spürte, dass wertvolle Beziehungen gefährdet waren und wollte nicht, dass sie verloren gehen. Ich hatte Bedenken wegen der medizinischen Situation, dass das Gesundheitssystem kollabieren und auch die Wirtschaft lange leiden würde. Ich hatte auch Bedenken über die mentale Gesundheit von vielen.
9. Gibt es Personen, mit denen du dich entzweit hast und wie bist du damit umgegangen?
Ja, in manchen meiner Beziehungen gab es schon Schwierigkeiten. In meinem Freundeskreis waren einige, die einen anderen Zugang zur Pandemie hatten als ich. Mit zwei guten Freundinnen gab es viele Diskussionen, wir haben unsere Meinungen aber respektvoll miteinander ausgetauscht. Zu einer heftigen Auseinandersetzung ist es nie gekommen, aber die Situation war so, dass wir uns vorübergehend distanziert haben. Die Freundschaften sind dennoch geblieben.
10. Gibt es Personen, die du während der Krise aufgrund ihres Verhaltens bewundert hast oder die sich deine Achtung verdient haben?
Ich hatte große Achtung vor dem erschöpften Krankenhauspersonal, das sich alldem so voll ausgesetzt hat. Auch vor all jenen, die trotz allem weiterhin die Wirtschaft am Laufen gehalten haben.
11. Inwiefern hat dich diese Krise geprägt? Gab es Talente oder Fähigkeiten, die du hervorholen oder entwickeln musstest?
In der vielen Zeit, die ich daheim verbrachte, habe ich mich wieder meinem Klavierspiel gewidmet und jeden Tag Klavier gespielt. Das und auch andere kreative Aktivitäten haben mir sehr gutgetan. Meine Einstellung ist ein wenig stiller und tiefer geworden, sie ist nicht mehr so oberflächlich. Meine Wertschätzung ist gestiegen. Von daher habe ich mich entwickeln können und etwas Gutes erfahren.
12. Stell dir vor, eines Tages hättest du die Gelegenheit, einer Schulklasse, die zu dieser Zeit noch nicht auf der Welt war, von deinen Erlebnissen zu erzählen. Gibt es so etwas wie eine Lehre oder einen Tipp, die du den Kindern mitgeben könntest?
Ich glaube, das Wichtigste ist, dass sich jeder selbst informiert und schaut, dass die Quellen verlässlich und authentisch sind. Und dass Respekt und Toleranz als wichtige Elemente im Umfeld gewahrt bleiben. Es zählen nicht nur die eigenen Ängste bzw. Vorhaben, das eigene Ego, die eigene Ethik und die eigene Meinung, sondern man sollte Rücksicht auf die Meinung, die Interessen und Nöte der anderen nehmen. Eine Situation soll demokratisch behandelt werden. Es gilt, sich selbst treu zu sein, aber auch mit Weisheit Balance zu halten zwischen eigenen Vorurteilen und den Ansprüchen der Gesamtgesellschaft.
13. Wenn du einen Blick in die Zukunft tun könntest, was denkst du aus heutiger Sicht, wie könnte unsere Welt in einigen Jahren aussehen?
Da spielen so viele Faktoren mit. Vielleicht haben wir in diesen drei Jahren Pandemie gelernt, resilienter zu werden.
14. Möchtest du noch etwas sagen, nachdem ich dich nicht gefragt habe?
Ich glaube, ich brauche jetzt ein Glas Wasser!