Weißkraut – unschätzbarer Arzt der Armen

Folgt man der Mythologie, haben wir das Weißkraut den Göttern des Olymps zu verdanken. Der böse Thrakerkönig Lykurgos ließ alle Weinreben in seinem Land vernichten. Dionysos, der Gott des Weines, fand das gar nicht lustig und fesselte ihn an die Weinstöcke. Vor seinem Tod vergoss der König Tränen, aus denen die ersten Krautpflanzen sprossen.

In anderen Geschichten galt Weißkraut als heilige Pflanze des Jupiter, die aus Schweißperlen des Gottes entstand. Der römische Kaiser Diokletian soll nach seiner Abdankung in seinen letzten Jahren als Kohlbauer gelebt haben und die Kultivierung des Krauts über alles geliebt haben.

Weisskraut Feld

Diesen Urvater aller Kraut- und Kohlpflanzen findet man heute noch an der Mittelmeer- und Atlantikküste. Seine Nachkommen sind sehr vielfältig und umfassen Varietäten wie Weiß- und Rotkraut, Spitzkohl, Rosenkohl, Grünkohl, Blumenkohl und Wirsing.

Fermentiertes Sauerkraut war im letzten Jahrhundert für lange Zeit Grundnahrungsmittel, aber auch bewährtes Heilmittel der niedrigen sozialen Schichten, die sich keine medizinische Behandlung leisten konnten. Vom Weißkraut – als Arzt der Armen – sind legendäre Heilerfolge bekannt.

Schon die Römer nutzten Weißkraut als Medizin. Damals galt er als Allheilmittel für vielerlei Beschwerden. Kraut und Rüben waren auch fixer Bestandteil der Klostermedizin. Zur Konservierung wurden ganze Kohlköpfe eingesalzen und in Tontöpfen aufbewahrt. Der Seefahrer James Cook bekam im 18. Jahrhundert mit Sauerkraut den Skorbut in den Griff.

Im Winter 1952/53 herrschte im Raum Stuttgart eine Typhusepidemie. Da man als Ansteckungsquelle das Grundnahrungsmittel Sauerkraut in Erwägung zog, prüfte der Hygieniker Knapp das Vorkommen und die Lebensfähigkeit von Typhuserregern in Sauerkraut. Wie sich herausstellte, war das Sauerkraut nicht die Quelle der Erreger: Im Gegenteil, sie gingen darin binnen weniger Stunden zugrunde.

Weißkraut hat den höchsten Vitamin C Gehalt aller Kohlsorten. Es handelt sich dabei um Ascorbigen, eine Vorstufe von Vitamin C, die erst beim Kochen umgewandelt wird – ganz im Gegenteil zu den meisten anderen Gemüsesorten, bei denen das Vitamin C beim Kochen weitgehend verloren geht.

Sauerkrautsaft schmeckt zwar sauer, wirkt aber im Körper basisch. Das Trinken von einem viertel Liter Weißkrautsaft täglich über mehrere Wochen hinweg, leistet hervorragende Dienste bei der Linderung von Magen- und Zwölffingerdarmbeschwerden.

Die entgiftende Wirkung war bereits Dioskurides bekannt. Die Faserstoffe der Kohlblätter binden im Darm Fett und Cholesterin und unterstützen die Leber beim Abbau von Giftstoffen. Seine harntreibende Wirkung ist auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Arthritis hilfreich.

Äußerlich sind Kohlblätter bei Venenentzündungen, geschwollenen Gelenken und schlecht heilenden Wunden angezeigt. Eine typische volksmedizinische Anwendung besteht im Quetschen der Blätter mit einem Nudelholz (oder Klopfen mit dem Fleischhammer) bis etwas Saft austritt. Ein Wickel mit Kohlblättern soll auch bei Verbrennungen, Gürtelrose, Insektenstichen und Neuralgien helfen. Der legendäre Naturarzt Maurice Messegue bevorzugte übrigens das Bügeln der Kohlblätter.

Schon seit Generationen werden Kohlblätter als Umschlag auf Tumorerkrankungen aufgelegt. Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass der regelmäßige Verzehr von Kohlgemüsen hilfreich zur Prävention von Blasen- und Brustkrebs, Prostata- und Lungenkrebs sowie Magenkrebs ist. Die Wirkung soll dabei auf den vielfältigen sekundären Pflanzenwirkstoffen beruhen. Diese sind übrigens hitzeempfindlich und wasserlöslich, weshalb ein Verzehr als Rohkost besonders zu empfehlen ist.

Pfarrer Kneipp bemerkte einst: „Sauerkraut ist ein richtiger Besen für Magen und Darm, nimmt die schlechten Säfte und Gase fort, stärkt die Nerven und fördert die Blutbildung.“

Hildegard von Bingen empfahl Kohl zur Reinigung des Blutes und zur Förderung der Verdauung. Sie sah Kohl als wärmendes Gemüse, das im Winter Kraft und Gesundheit stärkt. Die harntreibenden Eigenschaften des Kohls werden bis heute bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rheuma geschätzt.

Einst Arme Leute Essen, hat Weißkraut längst einen geschätzten Platz in der gutbürgerlichen Hausmannskost und auch in der modernen leichten Küche. Krautwickel sind nicht nur wohltuend für die Gelenke, sondern auch schmackhaft mit allerlei Füllungen geschmort und gebraten. Meine Lieblingsrohkostvariante ist der American Coleslaw mit geraspelten Karotten und Zwiebeln und einer Art French Dressing. Irish Stew, Krautspätzle, Krautstrudel, Szegediner Gulasch und Borschtsch sind berühmte Weißkraut Gerichte.

Lassen Sie es sich keinesfalls entgehen, einmal selbst Sauerkraut zu machen. Das geht auch in kleinen Mengen und zurzeit ist das Kraut und die Temperatur perfekt zum milchsauer vergären. Eine ganz besondere Art von „Sauerkraut“ ist Kimchi. Das Rezept dazu finden Sie hier:

Literatur

  • Benecke, M. (2019). Die heilende Wirkung des Sauerkrauts: Eine kulturhistorische und medizinische Betrachtung. München: Natur und Heilen Verlag.
  • Dioskurides, P. (2000). De Materia Medica. Übersetzt und kommentiert von Robert T. Gunther. London: Oxford University Press. (Originalarbeit ca. 70 n. Chr.)
  • Kneipp, S. (1890). Meine Wasserkur: Kurze Darstellung meines Heilverfahrens und der dahin gehörigen naturgemäßen Heilmittel. Wörishofen: Verlag von Otto Nemnich.
  • Krautheimer, A. (1956). Sauerkraut und Volksmedizin: Historische und medizinische Aspekte. Stuttgart: Thieme Verlag.
  • Messegue, M. (1972). Gesundheit aus der Apotheke Gottes. Hamburg: Hoffmann und Campe.
  • Schilcher, H. (1999). Lehrbuch der Phytotherapie: Geschichte und Anwendung pflanzlicher Arzneimittel. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
  • Storl, W. D. (2011). Mythos Heilkraut: Vom Wissen der Völker und modernen Erkenntnissen über die Heilkraft der Pflanzen. Aarau: AT Verlag.
  • Winkelmann, M. (1953). Der Typhusausbruch in Stuttgart 1952/53: Untersuchungen zur Rolle des Sauerkrauts. Hygienische Rundschau, 26(3), 45-52.
  • Zittlau, J. (2017). Superfood Kohl: Die gesundheitsfördernden Wirkungen von Kohlgemüse. München: Kösel-Verlag.

Übersichtsartikel über die gesundheitlichen Vorteile und den therapeutischen Einsatz von Weisskraut:

Ștefan, Ioana & Ona, Andreea. Cabbage (Brassica oleracea L.). Overview of the Health Benefits and Therapeutical Uses. Hop and Medicinal Plants, Year XXVIII, No. 1-2, 2020.