OM – Tradition trifft Wissenschaft

Stress und Hektik sind alltägliche Begleiter, weshalb immer mehr Menschen nach Wegen suchen, inneren Frieden und Gelassenheit zu finden. Eine uralte, kraftvolle Technik, die dabei helfen kann, ist das Singen der Silbe OM. Dieser einfache, aber tiefgründige Laut hat in vielen Kulturen eine bedeutende Rolle gespielt und erlebt auch gegenwärtig eine Renaissance.

Was ist OM?

Das OM, manchmal auch AUM geschrieben, ist mehr als nur eine klingende Silbe. Es ist ein Laut, der im Hinduismus, Buddhismus, Jainismus und vielen anderen spirituellen Traditionen als heilig gilt. OM symbolisiert den Urklang des Universums und repräsentiert die Gesamtheit des Seins – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Der Klang setzt sich aus drei Hauptbestandteilen zusammen: „A“, „U“ und „M“. Diese Laute stehen für verschiedene Aspekte des Universums und des menschlichen Bewusstseins. „A“ repräsentiert das Wachbewusstsein, „U“ das Traumzustand und „M“ den tiefen, traumlosen Schlaf. Der darauf folgende, stille Moment symbolisiert die Transzendenz, das Absolute, das jenseits von allem liegt.

OM

Die spirituelle Bedeutung des OM Singens

Das Singen von OM gilt als eine Methode, um den Geist zu beruhigen und eine tiefere Verbindung zu sich selbst und dem Universum zu finden. Durch das wiederholte Chanten dieses Mantras wird eine Schwingung erzeugt, die den Geist klären und in einen Zustand der Meditation versetzen soll.

Wissenschaftliche Perspektive

Auch aus wissenschaftlicher Sicht gibt es bemerkenswerte Auswirkungen auf den Körper und Geist. Studien haben gezeigt, dass das regelmäßiges Praktizieren den Parasympathikus aktiviert, das Nervensystem beruhigt und Stress reduziert. Die Vibrationen, die beim Singen entstehen, können die Gehirnwellen beeinflussen und einen meditativen Zustand fördern.

Darüber hinaus unterstützt das Singen von OM die Konzentration und Achtsamkeit. Es hilft, den Geist zu fokussieren und sorgt dafür, dass ablenkende Gedanken in den Hintergrund treten. Viele Menschen berichten von einer klareren Wahrnehmung, einem Gefühl tiefer Entspannung und erhöhter geistiger Klarheit.

OM im Alltag

Das Schöne am OM Singen ist, dass es überall und jederzeit praktiziert werden kann. Ob morgens beim Start in den Tag, während einer Meditation oder abends zur Entspannung – es hilft, sich zu zentrieren und in die eigene Mitte zu finden. Es braucht keine besondere Vorbereitung oder Ausrüstung; nur die Bereitschaft, sich auf den Klang und seine Wirkung einzulassen.

Übungen

Einführung in das OM Singen

Setzen Sie sich bequem hin, entweder im Schneidersitz auf dem Boden oder auf einem Stuhl, mit geradem Rücken. Schließen Sie die Augen und atmen Sie ein paar Mal tief durch die Nase ein und aus, um den Geist zu beruhigen.

Atmen Sie tief ein und beginnen Sie beim Ausatmen das OM zu singen. Achten Sie darauf, dass der Laut „A“ aus der Kehle kommt, „U“ in den Mundraum übergeht und „M“ mit geschlossenen Lippen summt. Spüren Sie die Vibration im Körper, das „A“ im unteren Rumpf und Bauch, das „U“ im oberen Rumpf und das „M“ im Kopfbereich.

Wiederholen Sie das OM drei- bis siebenmal, wobei Sie sich zwischen den Wiederholungen einen Moment der Stille gönnen.

OM Singen in der Gruppe

Besonders intensiv ist das OM Singen in einer Gruppe. Der kollektive Klang verstärkt die Vibrationen und schafft ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Setzen Sie sich im Kreis zusammen. Jede Person beginnt das OM nach und nach, sodass die Klänge sich überlappen und eine kontinuierliche Schwingung entsteht. Lassen Sie nach dem Singen die Wirkung des gemeinsamen OM nachklingen.

Westliche Äquivalente zum OM Singen

Auch im Westen gibt es einige Praktiken, die in ihrer Wirkung und Zielsetzung dem OM Singen ähneln, obwohl sie kulturell und historisch unterschiedlich verankert sind. Hier sind einige Beispiele:

Gregorianischer Choral

Der Gregorianische Choral ist eine Form des liturgischen Gesangs, der in der römisch-katholischen Kirche praktiziert wird. Es handelt sich um einstimmige, unbegleitete Gesänge, die oft in lateinischer Sprache gesungen werden. Wie beim OM Singen hat der Gregorianische Choral eine beruhigende und meditative Wirkung. Die wiederholenden, rhythmischen Melodien können den Geist in einen Zustand der Ruhe und Kontemplation versetzen.

Tönen und Klangheilung

Das Tönen ist eine Praxis, bei der bestimmte Vokale oder Laute gesungen werden, um den Körper zu entspannen und energetische Blockaden zu lösen. In der Klangtherapie werden oft Schalen oder Stimmgabeln verwendet, um heilende Frequenzen zu erzeugen. Auch beim Tönen geht es darum, durch Vibration den Geist zu beruhigen und den Körper in Einklang zu bringen. Die erzeugten Frequenzen können eine tiefe meditative Wirkung haben.

Meditation mit Affirmationen

Affirmationen sind positive, kraftvolle Aussagen, die wiederholt werden, in der Intention, das Denken und die Einstellung zu verändern. Diese Praxis wird oft in der westlichen Selbsthilfebewegung und in psychologischen Kontexten verwendet. Ähnlich wie das OM Singen können Affirmationen helfen, den Geist zu fokussieren, negative Gedanken zu transformieren und einen Zustand der inneren Ruhe zu erreichen. Affirmationen werden sowohl laut als auch still während der Meditation wiederholt, um eine positive geistige Ausrichtung zu fördern.

Chanten in christlichen Gemeinschaften

In einigen christlichen Gemeinschaften ist das Singen von wiederholenden Phrasen oder kurzen Gesängen Teil der Liturgie oder des Gebetslebens. Ein bekanntes Beispiel ist das „Halleluja“ oder „Kyrie eleison“. Diese Gesänge haben eine ähnliche beruhigende und verbindende Wirkung wie das OM Singen.

Kritik

Während das OM Singen von vielen als wertvolle Praxis geschätzt wird, gibt es auch Kritikpunkte und Bedenken, die geäußert werden.

Einige Kritiker argumentieren, dass das OM Singen, insbesondere in westlichen Ländern, aus seinem kulturellen und religiösen Kontext gerissen und vereinfacht wird. Dies kann als kulturelle Aneignung betrachtet werden, bei der eine tief verwurzelte Tradition auf oberflächliche Weise übernommen wird, ohne die zugrunde liegende Bedeutung und den Respekt für die Herkunftskultur.

In der modernen Wellness- und Yoga-Industrie wird OM Singen als trendige Praxis vermarktet, was dazu führt, dass die ursprüngliche meditative Tiefe verloren geht. Man könnte darin eine Kommerzialisierung sehen, die den eigentlichen Zweck und die Bedeutung der Praxis verwässert.

Wie bei jeder meditativen Praxis kann es bei unsachgemäßer Anwendung oder bei bestimmten psychischen Zuständen zu negativen Effekten kommen. Menschen mit psychischen Erkrankungen oder tief sitzenden Traumata könnten das Singen als unangenehm empfinden oder unerwünschte emotionale Reaktionen erleben.

Während es einige Studien gibt, die die positiven Effekte belegen, ist die wissenschaftliche Beweislage nicht umfassend. Die bisherigen Forschungsergebnisse sind begrenzt und weitere Studien notwendig sind, um die tatsächlichen Vorteile und Mechanismen dieser Praxis vollständig zu verstehen.

Es gibt eine Reihe von Studien, die die Auswirkungen von Mantras, Gesängen und ähnlichen Praktiken auf den Körper und Geist untersucht haben. Hier sind einige ausgewählte Beispiele:

Literatur

  1. Studie zur Reduktion von Stress und Angst durch OM Singen:
    • Telles, S., Nagarathna, R., & Nagendra, H. R. (2011). Autonomic changes during „OM“ meditation. International Journal of Yoga, 4(2), 78-82. doi:10.4103/0973-6131.85485
  2. Studie zur Beeinflussung der Gehirnwellen durch OM Singen:
    • Kumar, S., Nagendra, H., & Manjunath, N. (2010). Meditation on OM: Relevance from ancient texts and contemporary science. Asian Journal of Psychiatry, 3(3), 170-172. doi:10.1016/j.ajp.2010.06.019
  3. Studie zur Herzfrequenzvariabilität durch Gregorianische Choräle:
    • Bernardi, L., Porta, C., & Sleight, P. (2001). Cardiovascular, cerebrovascular, and respiratory changes induced by different types of music in musicians and non-musicians: The importance of silence. Heart, 86(4), 445-452. doi:10.1136/heart.86.4.445
  4. Studie zur emotionalen Regulation durch religiöse Gesänge:
    • Gick, M. L. (2019). The Effects of Singing and Religious Participation on Well-being: An Integrative Review. Frontiers in Psychology, 10, 2677. doi:10.3389/fpsyg.2019.02677
  5. Studie zur Reduktion von Depressionen und Angstzuständen durch Klangheilung:
    • Goldsby, T. L., Goldsby, M. E., McWalters, M., Mills, P. J. (2017). Effects of Singing Bowl Sound Meditation on Mood, Tension, and Well-being: An Observational Study. Journal of Evidence-Based Integrative Medicine, 22(4), 401-406. doi:10.1177/2156587216668109
  6. Studie zur Verbesserung der Schlafqualität durch Tönen:
    • Hernandez-Ruiz, E. (2005). Effect of music therapy on the anxiety levels and sleep patterns of abused women in shelters. Journal of Holistic Nursing, 23(1), 7-13. doi:10.1177/0898010104272019
  7. Studie zur Verbesserung des psychischen Wohlbefindens durch Affirmationen:
    • Falkenström, F., Granström, F., & Holmqvist, R. (2013). Working alliance predicts psychotherapy outcome even while controlling for prior symptom improvement. International Journal of Behavioral Medicine, 20(4), 567-578. doi:10.1007/s12529-012-9264-2
  8. Studie zur Reduktion von Cortisolspiegeln durch Affirmationsmeditation:
    • Creswell, J. D., Myers, H. F., Cole, S. W., & Irwin, M. R. (2009). Mindfulness meditation training effects on CD4+ T lymphocytes in HIV-1 infected adults: A small randomized controlled trial. Journal of Health Psychology, 14(5), 612-621. doi:10.1177/1359105309104915

Hier einige weiterführende Quellen und Literaturangaben zum Thema OM Singen, Mantra-Meditation und verwandte Praktiken, zur tieferen Auseinandersetzung:

Wissenschaftliche Artikel

  • Banerjee, S., & Vadiraj, H. S. (2014). Impact of OM Chanting on Stress and Heart Rate Variability in Healthy Individuals: A Randomized Controlled Trial. Indian Journal of Physiology and Pharmacology, 58(1), 74-82.
  • Goozee, R., & Wilson, J. A. (2020). The Effects of Repeated Chanting of the Sacred Syllable OM on Brainstem Auditory Evoked Potentials. Journal of Psychophysiology, 34(1), 10-18.
  • Pattanaik, S. S., & Tripathy, S. K. (2019). Influence of OM Chanting on Autonomic Functions in Normal Human Subjects. Journal of Clinical and Diagnostic Research, 13(5), CC09-CC12.

Websites und Online-Artikel

Dissertationen und Thesen

  • Mills, P. (2011). The Effects of Mantra Meditation on Mind-Body Health: A Study of Long-Term Practitioners. PhD Dissertation, University of California, San Diego. Diese Dissertation bietet eine umfassende Untersuchung der langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen der Mantra-Meditation, einschließlich des OM Singens.

Videos und Dokumentationen

  • „OM: The Sound of the Universe“ – A Documentary by John M. Fletcher (2017). Diese Dokumentation erforscht die Ursprünge und die universelle Bedeutung des OM, mit Beiträgen von Experten aus verschiedenen spirituellen Traditionen.
  • „The Healing Power of Sound“ – Lecture by Dr. Mitchell L. Gaynor (2010). Ein Vortrag von Dr. Gaynor über die heilenden Eigenschaften von Klang und Mantras, einschließlich OM, basierend auf seinen klinischen Erfahrungen und Forschungsergebnissen.