Es gibt zwei Arten, wütend zu sein. Eine kann das Leben ruinieren. Die andere kann es retten. In den letzten Jahren haben viele wahrscheinlich beide Arten von Wut gespürt. Das ist an sich in Ordnung. Wichtig ist jedoch, die beiden unterscheiden zu können, denn destruktive Wut mit konstruktiver zu verwechseln kann großen Schaden zufügen.
Zwei Arten von Wut
Dante Alighieri beschreibt in der Göttlichen Komödie, eine fiktive Reise durch die Hölle (das Inferno) und hinauf in den Himmel (das Paradies). Nahe dem Grund des Infernos trifft Dante auf einen Fluss aus kochend heißem Blut. Er ist voller Menschen, die ein Leben geführt haben, das von ihrer eigenen Gewalt dominiert war. Sie schwimmen herum, hassen ihre Situation und einander, und versuchen, sich gegenseitig die Gesichter abzubeißen. Nennen wir diese Art „blinde Wut“.
Später, nachdem Dante das Inferno ganz durchquert hat und auf dem Weg zum Paradies ist, begegnet er einer anderen Art von Wut. Verschiedene weise Seelen lehren ihn, mit Ungerechtigkeit oder Problemen umzugehen, indem sie Probleme wahrnehmen, freie Entscheidungen treffen, Informationen sammeln und handeln, um störende Situationen zu ändern. Nennen wir dies „erkennende Wut“.
Das blindwütige Gehirn
Es gibt einen ziemlich primitiven Teil unseres Gehirns, der in den „Kampfmodus“ umschaltet, wenn wir uns bedroht fühlen – selbst wenn die Bedrohung nur eingebildet ist oder dadurch entsteht, dass jemand, dem wir vielleicht niemals begegnen werden, anderer Meinung ist, als wir selbst.
Übernimmt dieses Gehirnareal die Kontrolle, werden wir immer wütender. Es kann sein, dass wir uns mit anderen, „Gleichgesinnten“ zusammentun, unsere Wut teilen und uns in eine regelrechte Raserei hineinreden. Blinde Wut kann normalerweise völlig unauffällige Menschen in einen mörderischen Mob verwandeln.
Treibt uns diese Art von Wut an, wissen wir, dass wir recht haben und nichts kann uns umstimmen. Dieser Teil des Gehirns hat keinen Zugang zur Logik, widersprechende handfeste Beweise können genau das Gegenteil bewirken, denn es geht einzig um die glühend heiße Überzeugung.
Das erkennende Gehirn
Während blinde Wut nur schnell urteilt, geht es bei erkennender Wut darum, sorgfältig zu urteilen. Wir werden neugierig. Was ist wirklich passiert? Warum denkt der andere so und was steckt dahinter? Warum denke und fühle ich selbst so?
Das lässt unerwartete Informationen finden, eröffnet neue Perspektiven, ermöglicht Mitgefühl und schenkt kreative Lösungen für beide Seiten eines Problems. Natürlich, der unmittelbare Kick, den uns das Gefühl der Selbstgerechtigkeit schenkt, fehlt: die Freude, einen bösen Post zu schreiben, zu schimpfen oder zu klatschen. Doch der Rausch ist kurz. Erkennende Wut hingegen schenkt uns die Art von Energie, die wir aus gesunder Nahrung beziehen. Sie macht unser Leben – und die Welt – besser.
Blinde oder erkennende Wut?
In der Hitze des Gefechts mag es schwierig sein, zu erkennen, welche Art von Wut wir empfinden. Hier sind ein paar Kriterien, die hilfreich sein können, zu bestimmen, was gerade bei uns abläuft:
Blinde Wut | Erkennende Wut |
Urteilt schnell und impulsiv. | Wägt sorgfältig ab. |
Badet in der eigenen Wut. | Trachtet danach, die Wut zu reduzieren. |
Es gibt die Anderen. „Wir gegen sie.“ | Alle Menschen sind verbunden. |
Hat Wissen und Wahrheit gepachtet. | Sucht nach neuen Informationen. |
Hat kein Interesse an Einfühlungsvermögen. | Ist empathisch und mitfühlend. |
Besteht auf Unfehlbarkeit. | Zweifelt und kann Fehler eingestehen. |
Sich gemäß der linken oder der rechten Spalte zu verhalten, kann den Unterschied zwischen einem Inferno und dem Weg zu Paradies ausmachen. Wie transformiert man aber seine blinde Wut?
Der Wandel von destruktiv zu konstruktiv
Schritt eins: Blinde Wut erkennen
Der erste Schritt ist die Erkenntnis, dass man sich darin befindet. Irgendwann erkennt man vielleicht, dass die Momente manischer Freude, wenn jemand Leid erfährt, auf den wir wütend sind, nur kurz sind und uns schaden, anstatt glücklich zu machen.
Schritt zwei: Auf unsere Werte konzentrieren
Der Psychologe Steven Hayes entdeckte, dass wir unsere „Kampf“-Reaktion abschalten, wenn wir aufhören, uns auf die „Schlechtigkeit“ anderer Menschen zu konzentrieren, und stattdessen unsere eigenen Werte betrachten.
Er schlägt vor, unsere Werte zu definieren, indem wir ein Verb und ein Adverb, kombinieren. Diese Zwei-Wort-Kombination sollte einen Wert zusammenfassen, den wir leben möchten: Bedingungslos lieben, ständig suchen, inspirierend lehren oder was auch immer passend ist.
Übung: Welche Verb & Adverb Kombination beschreibt einen Wert, den Sie gerade haben?
Schon das Nachdenken darüber und das Suchen nach den eigenen Werten, kann bewirken, dass die Wut sich verändert.
Schritt drei: Etwas Nützliches schaffen
Übung: Sobald der eigene Wert definiert ist, fragen Sie sich: "In Bezug auf das, was mich so aufregt, was ist das Nützlichste, was ich schaffen kann?"
Lassen Sie die Antwort ganz von selbst kommen, ohne sich zu sehr zu verkopfen. Hören Sie stattdessen darauf, was Ihr Herz Ihnen vorschlägt. Ob Sie nun Müll im Wald sammeln oder Ihre vegetarischen Rezepte öffentlich zugänglich machen, eine Lesegruppe gründen, Ihre Nachbarn am Wochenende zum gemeinsamen Resteessen einladen, verwilderte, öffentliche Flächen zum freien Ernten bepflanzen, ein Repair Café ins Leben rufen ist völlig egal.
Vom Zerstören zum Erschaffen
Energie von blinder Wut in erkennende Wut zu transformieren, ist der Schlüssel für ein besseres Leben für uns selbst und für eine bessere Welt für uns alle. Einerlei, welche Meinungen wir haben, dieser Prozess des Wandels ist der Unterschied zwischen Himmel und Hölle, zwischen Krieg und Frieden. Lassen Sie uns Probleme mit Entdeckergeist untersuchen und alles schaffen, was wir können, um sie zu lösen, anstatt unsere Energie darauf zu verwenden, die „Anderen“ abzuwerten und anzugreifen.
Sie wünschen sich Inspiration in einer kreativen Gruppe? Dann ist vielleicht ein Dialog mit Respekt das Richtige für Sie. Sie tun sich schwer mit dem Weg von der blinden Wut in die erkennende Wut und fallen dabei vielleicht sogar in lähmende Lethargie? Dann lassen Sie uns Ihre Stärken und Talente im persönlichen Gespräch entdecken.
Literatur
Beck, M. (2021). The Two Angers. Zugriff am 23. Juni 2024. Verfügbar unter: https://marthabeck.com/2021/02/the-two-angers/
Hayes, S. C. (2005). Get Out of Your Mind and Into Your Life: The New Acceptance and Commitment Therapy. New Harbinger Publications.